Viel Neues bei Scheer. Der kaiserliche Schuhmacher präsentiert exquisite Taschen, Gürtel und Kleinlederwaren. Von Hand gefertigt in Wien.
„Es wächst zusammen, was zusammengehört.“ Dieses berühmte Zitat Willy Brandts zum Berliner Mauerfall ließe sich auch auf Scheer anwenden. Wenn auch nicht in überhöhtem Sinn, sondern ganz zweckmäßig. Denn der 1816 gegründete Schuhmacherbetrieb, Kammerlieferant von Kaiser Franz Joseph I. und Schuster des deutschen Kaisers Wilhelm II., hat sein Portfolio nach 200 Jahren des erfolgreichen Bestehens behutsam erweitert.
Drei neue Gewerke – Taschen, Gürtel & Kleinlederwaren – kamen hinzu, wodurch die Klientel nun die Möglichkeit hat, bei Scheer eine ganze Produktpalette zu erwerben. „Es gab immer die Vision, mit unserer Kreativität noch mehr anzufangen“, erklärt Markus Scheer, der die Geschäfte in siebenter Generation führt, „allerdings ist bei einem solchen Projekt stets Vorsicht geboten, denn die ,heilige Ur-Marke‘ muss losgelöst davon existieren und funktionieren können. Sie darf auf keinen Fall beschädigt werden.“
Also war man viele Jahre lang damit beschäftigt, das Fundament für eine eigene Produktion zu schaffen, eine Werkstattstruktur aufzubauen und diese mit einem charmanten, lebendigen Maschinenpark auszustatten, wie Markus Scheer erläutert. „Wir haben eine alte Werkstatt, die einem sehr renommierten Taschner gehörte, aufgekauft und wirklich viel Zeit damit verbracht, Produkte zu entwickeln, die durch und durch Scheer sind. Die Vision dahinter nennen wir übrigens ,Krönung‘: Der Kunde hat den unglaublichen Luxus, hierherzukommen, sich in ein Leder zu verlieben und dann auf vier Gewerke, die alle auf höchstem Niveau arbeiten, zugreifen zu können.“ Zumal sich die einzelnen Handwerke im Alltag gegenseitig befruchten, es einen ständigen Austausch gibt. „Das ist ein fantastischer Fluss an Kommunikation und Leidenschaft.“
Und einer, der diesen Strom maßgeblich zum Fließen bringt, ist Thomas Hicker, der im elterlichen Betrieb mit Lederwarenerzeugung aufgewachsen ist und davon „infiziert“ wurde, wie er selbst sagt.
Er erlernte den Beruf des Taschners, vertiefte sein Wissen in Deutschland und Großbritannien maßgeblich und hat dadurch heute die Möglichkeit, das gesamte Gewerbe abzudecken. Seit knapp zwei Jahren ist Thomas Hicker bei Scheer für Taschen, Gürtel und Kleinlederwaren zuständig – ohne sein enormes Netzwerk ginge es nicht.
„Das Faszinierende für mich ist natürlich der Grundstoff Leder, das Spannende aber ist die Vielfalt der Arbeit – die Verbindung der Werkstoffe, um Qualität zu schaffen. Da steckt sehr viel Recherche dahinter, ich muss für alles die richtigen Zulieferer finden und für jedes Problem eine Lösung.“ Zu den klassischen Kollektionen gesellen sich pro Jahr etwa 600 Einzelanfertigungen, manche Spezialanfertigung dauert bis zu einem halben Jahr.
„Wir stellen vom Schlüsseltäschchen bis zum Schrankkoffer alles her, was gewünscht ist.” Begeisterung für ihre Produkte ist bei einem derartigen Pensum ein wesentlicher Antrieb für Thomas Hicker und seine beiden Mitarbeiter. „Der Kunde hat ein großes Spektrum zur Auswahl, das für diverse Verwendungszwecke schon sehr durchdacht ist“, präzisiert Markus Scheer. „Darüber hinaus kann er sich in die Individualisierung begeben und Wünsche äußern, die wir dann umsetzen. Oder er hat eine eigene Idee. In einem solchen Fall ist die Herangehensweise die gleiche wie bei den Schuhen: Erst wird ein Prototyp gebaut, danach geht es ans Original. Das ist natürlich ein großer Aufwand, aber es ist jederzeit möglich.“
Markus Scheer, der die neuen Gewerke gerne als Start-up tituliert, ist längst selbst zum
großen Taschenfan geworden. Er ist so fasziniert davon, dass er Umhängetaschen mitunter
auch ohne Inhalt trägt. „Einfach, weil ich sie schön finde …!“
Text : KLAUS PETER VOLLMANN
Photos : PETER RIGAUD