string(66) "https://www.veryvienna.eu/wp-content/uploads/2017/08/favicon-1.jpg"

The Café of the Heavens

Ausgabe 2 / 22. August 2017

Der Wiener Bestsellerautor Andreas Pittler lässt in seiner Satire über das Kaffeehaus den Beelzebub, Leopold Hawelka und Gottvater himself um die Wiener Kaffeehauskultur kämpfen.

I. In der Hölle

Das wütende Schnauben des Satans ließ alle Höllendiener ängstlich zusammenfahren. Vermutlich war dem Herrn der teuflischen Heerscharen wieder irgendeine Laus über die Leber gelaufen. Keine Frage, der Bocksfüßige wurde im Alter nicht milde. Seit Äonen kämpfte er darum, seinen tiefen Fall, den er stets als – im wahrsten Sinne des Wortes – himmelschreiende Ungerechtigkeit empfunden hatte, in einen triumphalen Sieg umzumünzen, und selbst die altgedientesten Höllenhunde konnten nicht mehr all die Versuche aufzählen, die der Beelzebub unternommen hatte, den Himmel zu stürzen und sich selbst zum Herrscher über die Welt zu machen. Ebenso wenig freilich vermochten sie zu sagen, was dem Alten jetzt schon wieder die Galle hochgehen ließ.
„Diese vermaledeiten Wiener“, fluchte er, „denen geht’s immer noch zu gut.“ Die Teufelsknechte sahen einander verstohlen an, enthielten sich aber wohlweislich jedweden Kommentars. „Da schicke ich denen Sparpakete, Politskandale und zuletzt noch permanenten Dauerfrost, und was machen die? Sprühen weiter vor Charme, bleiben schön gemütlich und regeln alles pomali. Das ist doch zum Aus-der-Haut-Fahren mit denen, Kruzitürken noch einmal. Dabei hab ich mit denen ohnehin noch mehrere Rechnungen offen.“
Ein aus Sicht der Ewigkeit noch jüngeres Semester fuhr sich neugierig mit dem Handrücken über seinen üppigen Schnurrbart und sah seinen Nachbarn fragend an. Der blickte schnell mit seinen schmalen Sehschlitzen nach links und nach rechts und zog den Schnauzbart dann beiseite. „Vor einigen hundert Jahren, da warst du noch gar nicht geboren, da hat der Teufel mehrmals versucht, den Wienern schlimme Prüfungen aufzuerlegen. Er hat sich den Baumeister von Sankt Stephan geholt und versucht, ­ihnen mit einem alten Baum, in den die Wiener Lehrlinge immer Nägel einschlugen, ein Schnippchen zu schlagen. Aber die Wiener erwiesen sich stets als gewitzter denn unser oberster Herrscher, und das kann er ihnen halt partout nicht verzeihen.“
Die buschigen Augenbrauen des so Aufgeklärten gingen nach oben, ­sodass sie fast die pechschwarzen pomadisierten Haupthaare berührten. „Danke, Genosse Attila“, flüsterte er rau, ehe er einen Schritt nach vorne trat. Gerade weit genug, um die Aufmerksamkeit des Höllenfürsten zu erregen. „Was ist“, fauchte dieser, „hast du mir etwas mitzuteilen, Stalin?“ Der nickte und bewegte sich noch zwei Schritte weiter zum Satan hin. „Meiner Erfahrung nach, Genosse Teufel, hilft in solchen Fällen nur die geschlossene Faust. Die muss gnadenlos niedersausen auf die Feinde der Sowjet…, auf die Feinde der Hö…, auf Eure Feinde, Genosse Satan.“ Beelzebub sah Stalin in einer Mischung aus Irritation und Amüsement an. „Du bist nicht mehr im Kreml, lieber Freund, und deine Methoden sind gegenwärtig nicht gerade sehr en vogue. Außerdem sind die Wiener keine Trottel! Wenn man die frontal angreift, dann ziehen die alle an ­einem Strang. Nein, mit nackter Gewalt erreichst du eher das Gegenteil. Da werden die nur noch sturer, und wir schauen erst durch die Finger.“
Ein heiseres Räuspern unterbrach den Monolog des Fürsten der Finsternis. Ein kleiner Mann mit quadratischem Schnauzbart wischte sich eilig eine Haarsträhne aus dem Gesicht, ehe seine kehlige Stimme anhob. „Wie ihr nur zu gut wisst, war ich selbst viele Jahre ein Opfer dieses kosmopolitischen Schmelztiegels. Die Wiener sind jeder Vernunft bar. Mit Argumenten kommt man da nicht weit …“ Attila gluckste. „Gerade einmal bis zur Meldemannstraße …“
Der Einwand des Hunnen bewirkte ein böses Blitzen in den Augen des Redners, der sich jedoch gleich wieder auf seine eigene Sache konzentrierte. „Wenn Ihr also die Wiener treffen wollt, edler Meister, dann müsst Ihr genauso verschlagen vorgehen wie ihresgleichen selbst.“
Der Satan beachtete Stalin nicht länger und wandte sich stattdessen hochinteressiert Hitler zu. „Das klingt ermutigend. Erzählt mir mehr!“ Hitler genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde. Er warf sich in Pose, verschränkte seine Hände vor seiner Leibesmitte und atmete tief ein. „Ihr wisst, was man über die Wiener sagt. Man solle ihnen ihren Wein und ihre Ruhe lassen, weiter wollten sie nichts von einem. Doch meine Erfahrung sagt mir etwas anderes. Es ist der Kaffee, dieses ganz besondere Wiener Gebräu mit seinen hunderten von Arten und Abarten, vom Einspänner über den Fiaker bis zum Pharisäer, der sie zu etwas ganz Einzigartigem in der Welt macht. Und für die Wiener ist der Kaffee nicht einfach ein Getränk, das sie so nebenbei zu sich nehmen wie die Franzosen oder die Italiener. Nein. Für die Wiener ist der Kaffee eine Philosophie, beinahe eine Religion. Ein Elixier, wenn ihr so wollt. Sie können stundenlang bei einem einzigen Kaffee sitzen und dabei Bücher lesen oder ebensolche schreiben. Sie studieren die Presse, inländisch wie ausländisch, sie diskutieren über Go… über was weiß ich was, planen ihr Leben, ihre Zukunft, ihre Weltsicht. Sie spintisieren, fantasieren, bramarbasieren. Der Kaffee ist die Welt, der die Wiener im Innersten zusammenhält. Nehmt ihnen, edler Satan, den Kaffee weg, dann wird ihre Widerstandskraft ein für alle Mal gebrochen sein.“
Der Teufel wiegte seinen Kopf nachdenklich hin und her. „Das ist ja eine ganz schöne Idee. Allein, wie sollte die umsetzbar sein? Ich kann ja kaum allen Kaffee Lateinamerikas und des Nahen Ostens verdorren lassen, nur damit die Wiener auf dem Trockenen sitzen.“
Nun war es wieder Stalin, der seine Stunde gekommen sah. „Wo man nicht einmarschieren kann, dort muss man destabilisieren. Mit einer fünften Kolonne. Unterwandern wir die Wiener Kaffeehäuser nach der altbewährten Salamitaktik. Damit hatte ich …, hatten wir vor sieben Jahrzehnten große Erfolge.“ „Soll ich meine Agenten ausschwärmen lassen, damit sie großflächig Wiener Kaffeehäuser aufkaufen oder wie?“ Satan schien ratlos.
„Aber nein, mitnichten. Das würde ja nichts ändern. Ihr müsst die Kultur zerstören, die mit dem Kaffee in Wien verbunden wird. Lasst einfach ausländische Ketten in Wien einfallen, die von Tradition und Philosophie keine Ahnung haben. Die sollen der Alt-Wiener Kaffeehausgemütlichkeit mit Fast-Food-Strategie zu Leibe rücken. Am besten schenken die den Kaffee, also das Gebräu, das sie dann dreist so nennen, in schäbigen ­Pappbechern aus, die man noch dazu im Stehen austrinken muss, damit man ja nicht zum Nachdenken oder auch nur zum Verweilen kommt. Und lasst sie dieses Gebräu mit irgendwelchen Duftnoten und Geschmacksverstärkern verwässern, und sie sollen diesem Gesöff irgendwelche absurden Namen geben, wie, was weiß ich, Latte oder Macchiato oder Ähnliches, mit ­denen der Wiener so viel anfängt wie der Eskimo in Grönland mit einem Kühlschrank.“
Zum ersten Mal schlich so etwas wie ein Lächeln über das Antlitz des Fürsten der Finsternis. „Ja, das könnte funktionieren. Die älteren Semester werden sich zwar als resistent erweisen, aber die Jugend, die noch keine Ahnung von Wiener Kaffeehauskultur hat, die könnten wir ihnen abspenstig machen. Die finden einen Latte sicher … cool.“ Beelzebub schlug mit der Faust auf die Armlehne seines höllischen Fürstenthrons. „Genau so machen wir es. Lasst sofort entsprechende Anweisungen an unsere Agenten ergehen. Die sollen das umgehend in die Wege leiten.“

II. Im Himmel

Leopold Hawelka saß betrübt auf seiner Wolke und sah mit traurigen ­Augen auf sein Wien hinab. Seit er vom lieben Herrgott zu den himmlischen Heerscharen abberufen worden war, ging es mit der guten alten Wiener Kaffeekultur langsam, aber sicher bergab. Da wurde ein Alt-Wiener Café in eine Schnell-Pizzeria umgewandelt, dort ein Fremdenverkehrsbüro in eine amerikanische Cafeteria und wiederum woanders gab es eine Schnellausschank für Heißgetränke, bei denen man nicht zu sagen vermochte, ob sie nun Tee oder aber Kaffee sein mochten. Dem alten Herrn Hawelka blutete ob solchen Anblicks das Herz, und er fand, es konnte unmöglich Gottes Wille sein, dass die Wienerinnen und Wiener derart um ihre Grundfesten betrogen wurden.
Also fasste er sich ein Herz und reichte bei Petrus ein Gesuch um Audienz beim Herrgott ein. Das, schließlich war der Herr Hawelka selbst im Himmel prominent, auch prompt bewilligt wurde. Schon wenig später stand er also vor dem Himmelsthron und senkte ehrfürchtig den Blick vor dem strahlenden Glanz der göttlichen Dreieinigkeit. „Dein Herz bedrückt etwas, Bruder Leopold, so sprich denn“, drang es voluminös an sein Ohr.
„Himmlischer Vater, ich bin gekommen, um für meine Wienerstadt zu bitten. Was dort unten vor sich geht, das erschüttert die Wiener in ihren Grundfesten.“ Und Herr Hawelka erklärte Gott, was es mit den Wienern und ihrem Kaffee auf sich hatte. Der aber fuhr sich mit seiner göttlichen Hand durch seinen göttlichen weißen Bart und sah den Herrn Hawelka voller Mitgefühl an.
„Lieber Bruder Leopold. Du weißt doch selbst am besten, dass der Kaffee in Wien schon alles überlebt hat, was man sich nur vorstellen kann. Seuchen, Kriege, Brandkatastrophen, Weltuntergänge, das Wiener Kaffeehaus blieb immer bestehen. Und das wird auch in Zukunft so sein, lieber Bruder, also sorge dich nicht.“
„Lieber Himmelvater, wer bin ich, dass ich Deinen göttlichen Ratschluss hinterfragen dürfte? Aber glaube mir, oh Herr, diesmal ist die Lage anders. Es geht ja nicht nur um diese ausländischen Modeketten, die vielleicht wirklich bald wieder Geschichte sein werden. Da sind auch noch die Scharen ungehobelter Touristen, die das Café als ein Museum missverstehen, dann die vielen neuen Regulierungen, die einem guten alten Cafetier die Lust an seinem Metier verderben. Heutzutage musst du mehr am Computer sitzen und eintippen, als du dich mit den Gästen unterhalten kannst. Und für den Wiener ist das aber wichtig, dass er sich dort unterhalten kann. Mit dem Patron oder wenigstens mit dem Oberkellner. Der Wiener, müsst Ihr wissen, oh Herr, der geht nämlich ins Kaffeehaus, damit er beim Alleinsein Gesell­schaft hat.“
Der Herr der himmlischen Scharen beugte sich vor. „Ist euch Wienern das Kaffeehaus denn wirklich so wichtig?“ Herr Leo­pold schien auf diesen Einwurf nur gewartet zu haben. „Mit Eurer Erlaubnis, Herr!“ Da kein göttlicher Einwand kam, gab Herr Hawelka den beiden Engeln an der Tür ein Zeichen, die daraufhin die Pforte öffneten. Ehrfürchtig betrat eine kleine Gruppe den himmlischen Thronsaal. Sie alle brauchten eine gute Weile, um sich, überwältigt wie sie waren, auf Herrn Hawelka zu konzentrieren. „Ich habe mir, oh Herr, schon gedacht, dass Ihr mich das fragen werdet. Darum habe ich mir erlaubt, einige Wiener zu uns zu bitten, die Euch sicher gerne Auskunft geben darüber, was das Café für sie bedeutet hat.“
Er machte eine Geste in Richtung einiger älterer Männer. „Das sind, wie Eure Göttlichkeit sicherlich wissen, die Herren Kuh, Polgar, Perutz, Kraus und Altenberg. Die werden Euch sicherlich bestätigen, dass sie Weltliteratur verfasst haben. Im Kaffeehaus. Im WIENER Kaffeehaus. Und das“, zeigte Herr Hawelka nun auf einige weitere Männer, „sind die Herren Loos, Wagner und Pleˇcnik. Ohne ihre Gebäude schauert mein Wien recht fade aus. Und Ihr wisst, da Ihr ja allwissend seid, oh Herr, wo sie diese Gebäude entworfen und geplant haben.“ Hawelka wandte sich ein wenig nach rechts. „Und die Herren Freud und Adler, die haben bei einer Melange darüber nachgedacht, was die Seele des Menschen ausmacht. Sie …“
Der liebe Gott hob die rechte Hand. „Genug, Bruder Leopold. Ich habe schon verstanden. Ohne den Kaffee wäre die Wiener Kultur unendlich viel ärmer.“ Hawelka verbeugte sich. „Die Weltkultur wäre unendlich viel ärmer, ehrwürdigster Himmelvater.“ Der Herrgott sah nach rechts zu seinem Sohne, dann hinüber zum Heiligen Geist, ehe er seinen Blick auf den versammelten verewigten Wienern ruhen ließ.
„Ich sehe schon, ich darf nicht abseits stehen. Das würden mir die Wiener nie verzeihen, und das wiederum könnte ich mir nicht verzeihen. Ich werde also die Engel und Erzengel nach Wien schicken, damit die dort das Wiener Kaffeehaus auf ewig unter meinen göttlichen Schutz stellen. Und damit wir hier oben auch was von der ganzen Sache haben, betraue ich dich, Bruder Leopold, mit der Aufgabe, hier ein Echt-Wiener Kaffeehaus einzurichten. Aber“, und dabei lächelte der Himmelvater leutselig, „nicht, dass du das wieder nach dir benennst. Sonst kommt Bruder Georg dort auf die Idee und schreibt uns noch so ein Gstanzel wie damals den Nackerten, gell. So was brauchen wir da im Himmel nicht. Nein, wir tragen dir auf, Bruder Leopold, dein Etablissement Café Zum Himmel zu nennen, damit für alle Zeiten klar ist, dass das Wiener Kaffeehaus göttlichen Beistand hat.“

III. In Wien

Wer heute durch die Wienerstadt streift, der kann unter einer schier unend­lichen Zahl an Kaffeehäusern auswählen. Selbst in den entlegensten Bezirken gibt es genügend Lokalitäten, in denen man sich zur Lektüre, zur Meditation oder zum gemütlichen Plausch einfinden kann.
Wie anno dazumal ist es möglich, einen kleinen oder einen großen Braunen, einen Kurzen, einen Verlängerten oder eine Melange, einen Türkischen oder einen Mokka, einen Pharisäer, einen Einspänner oder auch eine Schale Gold zu ordern, und wie selbstverständlich wird einem dazu ein Glas Wasser gereicht, das ohne Aufhebens ausgetauscht wird, wenn es einmal leer geworden ist. Man reicht einem Zeitungen, erfüllt kulinarische Wünsche, ist zur Stelle, wenn ein Gespräch gewünscht wird, und hält sich dezent im Hintergrund, wenn man erkennt, dass der Gast für sich zu bleiben wünscht.
Diese unnachahmliche Noblesse, die bei Touristen immer wieder grenzenloses Staunen hervorruft, wird von den Wienern unhinterfragt hingenommen. Was verständlich ist, da sie ja nichts anderes gewohnt sind. Das gehört zur Wiener Kaffeehauskultur eben dazu, dieser nachgerade göttliche Service.
Doch Sie, liebe Leserin und lieber Leser, Sie wissen es jetzt besser. Sie, die Sie die ganze Geschichte kennen. Das Wort „göttlich“ kommt eben nicht von ungefähr. Und nun, da Sie um die Zusammenhänge wissen, sehen Sie sich noch einmal ganz langsam in dem Café, in dem Sie gerade sitzen, um. ­Dezent, denn Sie wollen ja keine Aufmerksamkeit erregen, Sie wollen in Ruhe beobachten. Ganz so, wie es sich für ein Wiener Kaffeehaus gehört.
Und nun konzentrieren Sie sich einmal auf das Servierpersonal, auf die Pikkolos, auf die Zahl- und auf die Oberkellner. Denn wenn Sie genau hinsehen, dann werden Sie erkennen, dass all diese dienstbaren Geister, die Ihnen Ihren Kaffee bringen, nichts anderes sind als die himmlischen Engelsscharen, die der Herrgott ausgesandt hat, um die Wiener Kaffeehauskultur wahrlich und wahrhaftig himmlisch zu machen.

PS: Unbestätigten Gerüchten zufolge soll der Teufel angesichts seiner neuerlichen Niederlage einen Tobsuchtsanfall bekommen und Kaffee für immer aus der Hölle verbannt haben. Also bleiben Sie brav, liebe Leser! Sie wollen doch um Himmels willen im Jenseits nicht auf Ihren Kaffee verzichten müssen.

 

 

 

Text :  A. P. PITTLER

Photos :  STEFAN JOHAM