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Spies and Authors

Ausgabe 2 / 22. August 2017

Das Wiener Kaffeehaus war die Erfindung eines Spions. Zur weltweiten Legende haben es aber die Literaten gemacht.

Es war ein Geheimagent, der 1683 das erste Wiener Kaffeehaus eröffnete. Sein Name war Johannes Diodato. Er hatte bronzefarbene Haut, sprach Türkisch und Arabisch, beherrschte auch lokale Dialekte des ­Osmanischen Reichs, und seinen christlichen Vornamen verdankte er seiner armenischen Herkunft.

Dieser Diodato war der erste Cafetier Wiens. Und nicht Georg Franz Kolschitzky, dem die Historie das erste Wiener Kaffeehaus zuschreibt. Kolschitzky aber – und das ist ­gewiss – war der erste Lokalbesitzer, der eine Lizenz zum Kaffeeausschank erhielt. Diodatos Lokal blieb – so würde man heute sagen – als „Speakeasy“ in Erinnerung, als geheimer Treffpunkt, von dem nur ­wenige Eingeweihte die Adresse wussten und der keinen Hinweis auf seine Existenz gab. ­Anklopfen, Parole ­sagen, eintreten.

Anzunehmen ist, dass es in Diodatos Kaffeehaus kaum um den Kaffee ging, sondern um die Menschen, die dort Kaffee tranken, um die Botschaften, die diese Menschen hatten, und wer die Empfänger dieser Botschaften waren. Der Armenier Diodato war schon aufgrund seiner Herkunft Experte im Verarbeiten des seltenen Rohstoffs, den die Türken bei ihrem Rückzug vor Wien zurück­lassen mussten. Er schlug zwei Fliegen mit einer Klappe: Kaffee und Konspiration. Nach wenigen Jahren war sein Lokal aber plötzlich zu. Das wird Gründe gehabt haben.

Georg Franz Kolschitzky, so kann man in historischen Berichten ­lesen, kam erst mit den Jahren, knapp vor seinem Tod, auf die richtige Metho­de, Kaffee zuzubereiten. Das war den Wienern ­jedoch egal, denn sie hatten ja keine Vergleichsmöglichkeiten; sie tranken Kaffee, weil er neu war und ihnen kulturelle Bereicherung in kulturell eintönigen Zeiten schenkte. Außerdem war er heiß (in der damaligen Getränkekultur eher selten), machte wach, und das Kaffeehaus erschien als ­willkommene Abwechslung zu jenen Spelunken, die Wein und Bier ­ausschenkten und in welchen es immer wieder zu heftigen ­Gewaltausbrüchen berausch­ter Personen kam.

Das Kaffeehaus hingegen war ein Hort der Ruhe, die erste gastronomische Einrichtung Wiens, die um ein Kultur- und Kultgetränk gezimmert wurde, um einen Aufguss, der eine gewisse ­Andacht beim Konsum bedingte. Bereicherung statt Berauschung: Das war die Ausrichtung, die man den ersten Cafetiers vorgab; angesehene Leute, die größtenteils aus der kleinen Schicht der bei Hofe verkehrenden Personen entsprangen. Folglich ließ sich nach einiger Zeit gelassenen Abwar­tens auch der Hof herab, von dem Türkengetränk zu probieren. Lange kein Wort, dann knappe Worte des Gefallens. Kaffee war also genehm. Und somit auch genehmigt.
Wien, so sagt man oft, war die erste Stadt, in der ein Kaffeehaus eröffnet wurde. Das ist aber falsch, denn der Kaffee war kein gut ­gehütetes Geheimnis der Osmanen; sie exportierten die Bohne schon vor der zweiten Türkenbelagerung nach London und brachten den Briten bei, dass es auch ein anderes Heißgetränk als Tee gab. Noch dazu eines, das schnell wach machte. Kaffee war folglich den ganzen Tag vor allem dort zu haben, wo man wach bleiben musste: an der Londoner Börse und in den umgebenden Handelshäusern. Und Kaffee war so beliebt und gefragt wie heute das Kokain an der Wall Street.

Während die Briten dem Kaffee jegliche Art von Gemütlichkeitskultur verweigerten (die blieb dem Tee vorbehalten), machten ihn die Wiener ausgerechnet zum Mittelpunkt einer Lebensart des Innehaltens, des Verharrens, des stundenlangen Herumsitzens und der saloppen Plauderei. Wurde ein Kaffeehausbesucher zwischenzeitlich müde, dann kippte er die nächste Tasse hinunter und war wieder wach. Das konnte ewig so gehen, und schon zu Zeiten Maria Theresias beschwer­ten sich Cafetiers über jene Gäste, die den ganzen Tag im Lokal hockten, Karten spielten, am Billardtisch Wetten auf die Gewinner abschlossen, aber keine ­Bereitschaft zeigten, Geld auszugeben. Damals kam der Spruch auf (und er hielt sich sehr lange), dass diese Leute wohl keine Wohnung hätten. Oder zu wenig Geld, ihre Wohnung zu heizen. Das mag bei manchen dieser Sesselkleber eventuell der Fall gewesen sein, doch der Gang ins Kaffeehaus war kein billiger Spaß. Kaffee war teuer, er kam aus Triest oder London, sein Transport kostete eine Menge Geld, und von ­einem Volksgetränk, das sich jeder leisten kann, konnte gewiss nicht die Rede sein.

Der Durchbruch für Kaffee und die Kaffeehäuser erfolgte erst 150 Jahre, nachdem Diodato und Kolschitzky ihre ­Lokale das erste Mal aufgesperrt hatten. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war der Handel mit Kaffee erstmals so stabil, dass kaum noch gravierende Engpässe auftraten. Der Mokka ersetzte den Aufguss und in den Cafés entwickelte man vielfältige Serviermethoden, die dem Kult um die Bohne erst richtig Schwung verliehen. Es gab die ersten Kaffeedegustationen, die Herkunft und Röstung verglichen, und die Wiener Zeitungen – die vor allem von einem selbstbewussten Bürgertum gelesen wurden, das sein Biedermeier pflegte – schickten Kaffeehaustester durch Wien, die nicht wegen ihrer seltenen Lobeshymnen verehrt wurden, sondern meist wegen ihrer bösen Verrisse. Der gelernte Wiener weiß, wovon die Rede ist.

Das Wiener Kaffeehaus war Ende des neunzehnten Jahrhunderts Mittelpunkt der gehobenen Wiener Gastronomie und viele Cafés mutier­ten zu Café-Restaurants – großen Räumlichkeiten mit einfacher, aber guter Küche, die sich auf kleine Speisen konzentrierten. Wenn ein Reisender nach Wien kam, dann machte er auch ­einen Abstecher ins Kaffeehaus. Der war sozusagen Pflicht. Zur verbrieften Legende wurde das Kaffeehaus aber erst, als die Gruppe der Kaffeehausliteraten die Bühne betrat, die gleichzeitig für die Schicht der Gebildeten und Intellektuellen Platz nahm. Die jungen und frechen Schriftsteller waren zwar ebenfalls Stubenhocker mit geringer Lust am ausgedehnten Konsum, sie brachten aber ihre Bewunderer mit, die ihnen an Nebentischen stundenlang beim Schreiben oder Diskutieren zusahen. Welche Zeitungen liest Hugo von Hofmannsthal? Und welches Blatt zuerst? Im Café Griensteidl konnte man es erfahren. Man musste deswegen nicht mal früh aufstehen, denn Herr Hofmannsthal pflegte nicht vor 11 Uhr zu erscheinen. Mit wem trifft sich Arthur Schnitzler heute? Im Café Central wusste man ­davon zu berichten. Und die Klatschpresse war von Anfang an dabei.

Karl Kraus, Felix Salten, Egon Friedell oder Franz Werfel machten die Wiener Cafés zu ihren öffentlichen Wohnzimmern. Nur wer schon eine Schreibmaschine besaß – und das war nach Hörensagen nur Karl Kraus –, zog sich zum Schreiben nach Hause zurück. Die ­anderen holten im Café regelmäßig ihre Notizbücher hervor und verfassten – umgeben von Lärm und Trubel – einige ihrer besten Werke. Es ging den Literaten aber weniger um die Inspiration des Ortes, es ging ­ihnen vor allem darum, Präsenz zu zeigen, eine öffentliche Person zu sein. Das schraubte die Verkaufszahlen ihrer Bücher nach oben. Die Wiener Kaffeehausliteraten waren die ersten Popstars der Geschichte und gleichzeitig die erste Generation Schriftsteller, die – für damalige Verhältnisse – richtig viel Geld verdiente und mit ihrer Arbeit, die lange als brotlos galt, ihren meist kleinbürgerlichen Verhältnissen entfloh. Sie machten das Kaffeehaus zum Treffpunkt von Menschen, die die Freiheit von Rede und Schrift suchten. Zwar schickte auch der polizeiliche Geheimdienst seine Agenten in die Kaffeehäuser, doch diese unauffälligen Spitzel waren so auffällig, dass Karl Kraus nicht davon lassen konnte, sie ­öfter einmal coram ­publico zu enttarnen.

Felix Salten schrieb Teile seines pornografischen Romans „­Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne“ in verschiedenen Wiener Cafés. So erzählten es jedenfalls die journalistisch versierten Klatschtanten Karl Kraus und Egon Friedell. Salten selbst, der später Disney die Rechte für „Bambi“ verkaufte, bekannte sich nie zu dem Werk, obwohl es unverkennbar seine Handschrift trägt. Typisch für das damalige Wien war, dass das Buch durch die Möglichkeit der Vorbestellung der Zensur entging. Erst als sich eine Berliner Zeitung über den Inhalt erboste, griff man in Wien zum Mittel des Verbots. Da waren freilich alle Exemplare der Mutzenbacher schon verkauft. Der gelernte Wiener weiß, wovon die Rede ist.

Den Ruf der Literateninstitution kann das Kaffeehaus bis heute bewahren, obwohl kaum ein Schriftsteller mehr im Kaffeehaus an seinen Büchern arbeitet. Dafür geben die Autoren dort gerne Interviews. Das relativ junge Café Engländer gilt heute als Treffpunkt der schreibenden Zunft – hier geben sich die Journalisten ein tägliches Stelldichein. Man redet gerne konspirativ, wie zu Diodatos Zeiten. Und weiß von der Tatsache, dabei von jedem gesehen zu werden. Der gelernte Wiener … Na ja, Sie wissen schon, wovon die Rede ist.

 

 

 

Text :  MANFRED KLIMEK